Wie schon im letzten Beitrag eingeleitet, beschäftigen wir uns gerade intensiver mit der thematischen Vorbereitung der Shift/HR Workforce Management Konferenz am 21.11, auf der wir uns mit der Optimierung des strategischen Personalmanagements auseinandersetzen. Ein zentrales Thema ist die Umsetzung und Organisation neuer flexibler Arbeitsmodelle.
Die Flexibilisierung der Arbeitsmodelle hat sich von einem "Nice-to-Have" zu einem "Must-Have" entwickelt. Gründe hierfür sind die veränderten Erwartungen der Mitarbeitenden, die eine bessere Work-Life-Balance und flexible Arbeitszeiten fordern, sowie der wachsende Fachkräftemangel, der flexible Modelle zu einem entscheidenden Faktor bei der Gewinnung und Bindung von Talenten macht.
Die Frage ist demnach nicht mehr ob, sondern wie die Weg zur Flexibilisierung der Arbeitsmodelle zu gestalten ist. Eine spannende Entwicklung ist diesbezüglich in Großbritannien auszumachen, wo mit dem Employment Relations (Flexible Working) Bill 2023 seit April diesen Jahres (2024) konkrete Rahmenbedingungen geschaffen wurden, die das Recht zu flexiblen Arbeitsmodellen für Mitarbeitende stärkt. In diesem Zusammenhang zeigt der britische Gesundheitsdienst (National Health Service / NHS), welche Vorteile eine schnelle proaktive Umsetzung neuer Modelle birgt.
In diesem Beitrag diskutieren wir die Hintergründe dieser Entwicklung in Grßbritannien und was wir daraus für das Personalmanagement in Deutschland lernen können.
Fortschrittliche Rahmenbedingungen für flexible Arbeitsmodelle in UK
Großbritannien gilt als das Land mit dem am stärksten deregulierten Arbeitsmarkt in Europa. Diese Tatsache, die schon vor der Pandemie bestand, wurde während und nach der Pandemie noch deutlicher bestätigt. Zudem ist Großbritannien aus der Pandemie mit einer der höchsten Digitalisierungsraten hervorgegangen. Es überrascht daher nicht, dass die britische Regierung auch bei der Schaffung zukunftsweisender Rahmenbedingungen für die Arbeitswelt eine Vorreiterrolle einnimmt.
Mit der Einführung des Employment Relations (Flexible Working) Bill 2023 hat Großbritannien zum April 2024 bedeutende Veränderungen für die Arbeitswelt geschaffen. Der Bill ging aus grundlegenden Anhörungen im Herbst 2021 hervor und führte zu einer umfassenden Stärkung der Arbeitnehmerrechte sowie zu einer deutlichen Erhöhung der Flexibilität am Arbeitsplatz. Aus diesen Anhörungen entstand ein Gesetzesvorschlag, der schließlich in einem Act (Gesetz) mündete, der folgende vier zentrale Punkte enthält:
- Neue Anforderungen an Arbeitgeber: Arbeitgeber müssen nun Rücksprache mit den Mitarbeitenden halten, bevor sie einen Antrag auf flexibles Arbeiten ablehnen.
- Zwei Anträge pro Jahr: Beschäftigte dürfen innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten zwei gesetzliche Anträge auf flexibles Arbeiten stellen, anstatt wie bisher nur einen.
- Verkürzte Entscheidungsfristen: Die Frist für Arbeitgeber, um auf einen Antrag zu reagieren, wurde von drei auf zwei Monate verkürzt.
- Erleichterte Antragsstellung: Die bisherige Anforderung, dass Mitarbeitende erklären müssen, welche Auswirkungen der Antrag auf den Arbeitgeber haben könnte und wie diese Auswirkungen gemindert werden können, wurde abgeschafft.
Zusätzlich kündigte die britische Regierung an, dass ArbeitnehmerInnen künftig das Recht haben werden, ab dem ersten Tag einer neuen Beschäftigung einen Antrag auf flexibles Arbeiten zu stellen. Vor der Reform galt eine Wartezeit von 26 Wochen, bevor eine solche Anfrage möglich war. Diese Änderung sorgt dafür, dass flexible Arbeitsmodelle von Beginn an fester Bestandteil des Arbeitsalltags sind (Quelle: HILL DICKINSON).
Durch die Möglichkeit, zwei Anträge pro Jahr zu stellen, erhalten Beschäftigte mehr Flexibilität, ihre Arbeitszeit an ihre individuellen Bedürfnisse und beruflichen Anforderungen anzupassen. Zudem wurde die Reaktionsfrist für Arbeitgeber verkürzt, was den Prozess beschleunigt und den Mitarbeitenden schnellere Antworten ermöglicht (Quelle: HILL DICKINSON).
Ein weiteres zentrales Element des Gesetzes ist die Verpflichtung der Arbeitgeber, einen offenen Dialog mit den Mitarbeitenden zu führen. Dies fördert die Entwicklung von Lösungen, die sowohl die Bedürfnisse der Mitarbeitenden als auch die betrieblichen Anforderungen berücksichtigen (Quelle: HILL DICKINSON).
Der Employment Relations (Flexible Working) Bill 2023 stellt einen bedeutenden Fortschritt in der Förderung flexibler Arbeitsmodelle über entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen dar. Es stellt sich klar auf die Seite der Beschäftigten und stärkt ihre Rechte. Die Reform geht jedoch über die Rechte der Arbeitnehmenden hinaus, indem sie auch Arbeitgeber zu mehr Transparenz und Dialog verpflichtet. Insgesamt zeigt das Gesetz, dass die Flexibilisierung der Arbeitswelt nicht nur eine Reaktion auf die COVID-19-Pandemie ist, sondern eine langfristige Anpassung an die veränderten Erwartungen der Belegschaft.
Praxisbeispiel NHS: Attraktivitätseffekte eines proaktiven Handelns beim Thema flexibles Arbeiten
Alle Rahmenbedingungen helfen nichts, wenn sie nicht aktiv von den Unternehmen angenommen und umgesetzt werden. Der National Health Service (NHS) hat sich als Vorreiter bei der Implementierung der neuen Regelungen positioniert und nutzt flexible Arbeitszeitmodelle aktiv, um seine Herausforderungen im Bereich der Personalbeschaffung und -bindung zu bewältigen. Angesichts des steigenden Drucks durch den Fachkräftemangel und die zunehmenden Anforderungen im Gesundheitswesen hat der NHS flexible Arbeitsmodelle frühzeitig als zentrale Strategie zur Verbesserung der Mitarbeitendenzufriedenheit und zur Stärkung der Rekrutierung identifiziert.
Eine Umfrage innerhalb der NHS zeigt die erfolgreiche Umsetzung: 65 % der Anträge auf flexible Arbeitszeiten wurden vollständig genehmigt. Diese Zahl verdeutlicht, dass der NHS den Wunsch der Mitarbeitenden nach mehr Flexibilität nicht nur unterstützt, sondern aktiv dazu beiträgt, dass Mitarbeitende ihre Arbeitszeiten besser an ihre persönlichen und familiären Verpflichtungen anpassen können (Quelle: UNISON NATIONAL / HILL DICKINSON). Durch diese Maßnahmen wird nicht nur das Wohlbefinden der Beschäftigten gestärkt, sondern auch die betriebliche Effizienz gesteigert, da zufriedene Mitarbeitende tendenziell länger im Unternehmen bleiben und produktiver arbeiten (Quelle: UNISON NATIONAL).
Der Erfolg des NHS mit flexiblen Arbeitsmodellen zeigt eindrucksvoll, dass die Kombination aus gesetzlicher Unterstützung und proaktivem Handeln durch die Unternehmen dazu beitragen kann, Personalengpässe zu überwinden und gleichzeitig die Arbeitskultur nachhaltig zu verbessern. Dies ist besonders relevant in Zeiten des demografischen Wandels und der erhöhten Anforderungen an das Gesundheitswesen (Quelle: UNISON NATIONAL).
Lehren und Handlungsoptionen für deutsche Unternehmen
In Bezug auf die gesetzgebenden Rahmenbedingungen sind wir in Deutschland eher “vorsichtig” unterwegs. Zwar wurde das Thema in den Koalitionsvertrag aufgenommen, aber statt radikaler Änderungen wird eher auf die Ausschöpfung bestehender Regelungen und einer graduellen Anpassung gesetzt.
Das Arbeitszeitgesetz bildet weiterhin den festen Rahmen, der den Schutz der Arbeitnehmenden gewährleistet. Bei Flexibilisierungsmaßnahmen wird stets die Gesundheit und die Work-Life-Balance der Beschäftigten in den Vordergrund gesetzt. Insgesamt bietet das ArbZG einen Rahmen für flexible Arbeitszeiten im Homeoffice, bringt aber auch einige Pflichten - insb. zur Dokumentation mit sich. Die konkrete Ausgestaltung flexibler Modelle erfolgt meist auf betrieblicher Ebene unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben.
Mit den Möglichkeiten zu Gleitzeit-Regelungen, zur Vertrauensarbeitszeit und zu Arbeitszeitkonten sieht der Gesetzgeber ausreichend Gestaltungsraum. Darüber hinaus erlaubt der Gesetzgeber noch sogenannte Experimentierräume, in denen neue flexible Arbeitsmodelle erprobt werden können.
Als Fazit ist festzustellen: auch wenn in Deutschland nicht so radikale Modelle wie in Großbritannien erlaubt sind, so bestehen doch Gestaltungsräume, in denen Unternehmen tätig werden könnten.
Proaktives Handeln der Unternehmen: Deutsche Unternehmen könnten von der proaktiven Flexibilisierung der Arbeitsmodelle profitieren. Dies zeigte auch Guido Zander in seiner Keynote im vergangenen Jahr auf. Insbesondere Teilzeitarbeit, Homeoffice und Gleitzeit könnten die Mitarbeitendenbindung stärken und das Unternehmen für qualifizierte Fachkräfte attraktiver machen. Wichtig ist dabei, dass flexible Arbeitsmodelle als strategisches Instrument zur Anpassung an die Herausforderungen des demografischen Wandels und der Digitalisierung gesehen werden.
Technologie als Enabler: Der Einsatz digitaler Technologien ist ein zentraler Faktor, um flexibles Arbeiten in Unternehmen zu ermöglichen. Tools wie Microsoft 365 oder andere cloudbasierte Kollaborationsplattformen sind entscheidend, um eine effiziente Zusammenarbeit und Kommunikation zu gewährleisten, unabhängig davon, wo die Mitarbeitenden arbeiten.
Fazit: Chancen und Herausforderungen flexibler Arbeitsmodelle
Flexible Arbeitsmodelle bieten nicht nur eine Antwort auf die sich wandelnden Bedürfnisse der modernen Arbeitswelt, sondern sind auch ein strategisches Mittel, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Der Employment Relations (Flexible Working) Bill 2023 im Vereinigten Königreich zeigt, wie gesetzliche Rahmenbedingungen und proaktives unternehmerisches Handeln zusammenspielen können, um sowohl die Work-Life-Balance der Mitarbeitenden zu fördern als auch die organisatorische Resilienz zu stärken (Quelle: HILL DICKINSON).
Vor diesem Hintergrund wollen wir auf der Shift/HR Workforce Management Konferenz folgende Fragen weiter vertiefen:
- Wo bieten die bestehenden Regelungen unausgeschöpfte Gestaltungsmöglichkeiten und welche weiteren Anpassungen sind notwendig?
- Was bedeutet Flexibilität für die Unternehmenskultur? Wie können Unternehmen eine Kultur fördern, in der flexible Arbeitsmodelle als Standard angesehen werden?
- Wie kann Technologie die Flexibilität fördern und die Einsatzplanung und Abstimmung vereinfachen? Welche Rolle spielen Datenschutz und Datensicherheit?
- Wie lässt sich der Erfolg flexibler Arbeitsmodelle messen? Welche Kennzahlen (KPIs) sollten herangezogen werden, um den Erfolg flexibler Arbeitsmodelle zu bewerten?
Mit diesen Fragen im Gepäck freuen wir uns auf eine spannende Diskussion entlang der Konferenz und hoffen, das Thema “flexibles Arbeiten” mit interessanten Impulsen bereichern zu können.