Langsam neigt sich das Jahr dem Ende zu. Unser Veranstaltungsreigen im Herbst ist durch und der Rückblick meiner Kollegin Swetlana Haas zeigt, dass es auch für 2023 viele offene Diskussionsthemen für unsere Veranstaltungen gibt. Auch unsere Live-Talkreihe #hrtalks ist zum Ende gekommen - mit dem (mittlerweile schon) traditionellem Abschluss eines Gesprächs mit Prof. Dr. Peter Wald, der uns immer wieder spannende Impulse für weitere Themen der Shift/HR bietet.
Prof. Dr. Peter Wald ist HR-Experte, Hochschullehrer im Bereich Personalmanagement an der Fakultät Wirtschaftswissenschaften der HTWK Leipzig, Initiator und Veranstalter des HR Innovation Day und regelmäßiger Gast und Co-Moderator der Shift/HR Veranstaltungen. Er stand uns im #hrtalk vom 16.12. Rede und Antwort zu seinem Rückblick auf 2022 und seinen Forderungen für die notwendigen Veränderungen und Entwicklungen der HR in 2023.
Peter M. Wald und die Forderung nach einer "Caring Company" und mehr "humanzentriertem Denken" in HR
Das Jahr 2022 muss rückblickend leider als das Jahr beschrieben werden, in dem multiple Krisen unseren Alltag bestimmt haben und den Anschein haben – auch nicht mehr so einfach wegzugehen. Nach der Pandemie hat uns der Ukraine-Krieg, die Energie- und Wirtschaftskrise wie aber auch der allgegenwärtige Klimawandel in eine Zeit der „Permacrisis“ gebracht. So bezeichnet zumindest das Collin’s Dictionary das Wort des Jahres 2022. Das Leben mit stetigen unvorhersehbaren Ereignissen ist nicht mehr nur blanke Theorie der VUCA-Beschreibungen, sondern Merkmal unserer Realität.
Prof. Dr. Peter Wald sieht daher, dass Personaler ihre Veränderungsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft hinterfragen und sich weiter mit dem Stresslevel ihrer Selbst und ihres Kollegen auseinandersetzen müssen. Es gilt kritisch mit sich selbst zu sein und sich Gedanken darüber zu machen, welche neuen Fähigkeiten und Einstellungen notwendig sind, um sich den Herausforderungen der Zukunft zu stellen.
Dabei sieht Peter Wald das Konzept der "Caring Company", also ein Unternehmen, das sich um die Bedürfnisse seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmert, immer wichtiger werden. Eine Positionierung über die „Caring“-Eigenschaft sieht er dabei als wichtiges Unterscheidungsmerkmal am Arbeitskräftemarkt. Natürlich geht es dabei aber nicht um die Inszenierung oder die Positionierung als „Lippenbekenntnis“, sondern der Frage, wie das Unternehmen den Begriff "Caring Company" umsetzt. Dabei sei es wichtig, die langfristige Perspektive im Blick zu haben und auch die demografische Entwicklung zu berücksichtigen. Die Personalabteilung muss sich mit der emotionalen Situation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auseinandersetzen und wie das Unternehmen und die Organisation damit umgehen. Gleichsam gilt es zu berücksichtigen, wie sich diese Werte & Einstellungen über die Zeit und entlang des demografischen Wandels verändern.
Bezüglich der viel diskutierten Arbeitsmarktsituation stellt Professor Dr. Peter M. Wald fest, dass es zwar Tendenzen gibt, dass sich der Arbeitsmarkt von der Wirtschaftsentwicklung entkoppelt und der demografische Wandel den Wettbewerb am Arbeitsmarkt trotz sinkender Wirtschaftsentwicklung hoch hält, aber dass dies nicht der Regelfall sei. Aufgrund der Inflation werden Unternehmen überlegen, wie viel Personal sie tatsächlich benötigen und ob sie bestimmte Aufgaben mit digitalen Hilfsmitteln erledigen können. Dies könnte auch zu Freisetzungen führen – auch im HR-Bereich. Wichtig für die jetzige Situation sei es - so Peter Wald - , dass Personalerinnen und Personaler in der Lage sind, sich an die konkreten Kontextbedingungen anzupassen.
Das Beispiel von ChatGPT und vielen anderen KI-basierten Technologien zeige auch, wie performant die Ansätze geworden sind. Sinnvoll eingesetzt, wird das zu Veränderungen im Personalbedarf allgemein und in HR im Speziellem führen. So verweist Peter Wald auf den jüngsten Beitrag von Henner Knabenreich im Personalmarketing2Null-Blog zu dem Stellenabbau bei Amazon und der Substitution von Recruiting-Verantwortlichen durch KI-Systeme.
Auch in Bezug auf die Veränderungen der (Zusammen-)Arbeitswelt ist Professor Peter M. Wald der Meinung, dass die digitale Transformation inzwischen angekommen ist, aber dass es dabei immer noch viele Schwierigkeiten gibt. Er glaubt, dass viele Führungskräfte immer noch das Bedürfnis haben, ihre Mitarbeiter zu kontrollieren und daher eher eine "Return to Office"-Politik bevorzugen, anstatt ihren Mitarbeitern mehr Autonomie bei der Arbeit zu geben. Wald glaubt jedoch, dass es wichtig ist, von erfolgreichen hybriden Arbeitsmodellen zu lernen und zusammen mit den Mitarbeitern zu überlegen, wie hybrides Arbeiten gestaltet werden kann. Allerdings sieht er im Moment eine Tendenz hin zu mehr Präsenzarbeit, anstatt zu hybriden Lösungen, was er als schade empfindet. Er gibt an, dass es bisher nur wenig Forschung zu hybriden Arbeitsmodellen gibt, hofft aber, dass sich das in Zukunft ändern wird.
Peter M. Wald's Empfehlungen für die Umsetzung von mehr humanzentriertem Denken in 2023
Das neue Jahr steht vor der Tür und die multiplen Krisen werden leider nicht verschwinden. Was heißt das nun für HR und die Handlungsfelder? Im #hrtalk haben wir mit Prof. Dr. Peter M. Wald ausgewählte Themenfelder diskutiert:
Im Bereich Talent Akquisition und Recruiting sieht er die Notwendigkeit einer Professionalisierung und einer stärkeren Potenzialorientierung. Auch in der Krise sollten die Anforderungen bei der Personalauswahl nicht gesenkt werden. Eine fundierte Eignungsdiagnostik sei heute weiterhin wichtig. Die Analyse dürfe sich aber nicht auf bestehende Kenntnisse und Fähigkeiten beschränken, sondern müsse in der Auswahl auch die Fähigkeit zum Lernen und Erwerb neuer Kompetenzfelder berücksichtigen. Denn auf die Anpassungsfähigkeit der einzelnen Person kommt es in der Krise besonders an.
Beim Thema Employer Branding und Employee Relations geht es darum, aufrichtig und authentisch zu kommunizieren und nicht nur auf ansprechende TikTok-Videos zu setzen. Stattdessen sollten Unternehmen auf Aspekte wie die "Caring Company" eingehen und potenziellen Mitarbeitern vermitteln, was das Unternehmen bietet und wie es bei der internen Transformation vorankommt, um ein realistisches Bild von sich als Arbeitgeber zu vermitteln. Auch für das Thema "Value Fit", also ob die eigenen Werte und Vorstellungen mit denen des potenziellen Arbeitgebers übereinstimmen, sollte die Arbeitgeberkommunikation entsprechende Themenanker auswerfen, damit die Bewerbenden von vorneherein wissen, worauf sie sich beim Unternehmen einlassen.
Im Bereich Workforce Management geht es laut Peter M. Wald in 2023 um die Professionalisierung der Personalbereiche und die Einführung von Tools, die es ermöglichen, Arbeitszeiten flexibler zu gestalten. Dazu gehört auch die Einführung von Maßnahmen wie der Vier-Tage-Woche oder der Möglichkeit für Mitarbeiter, persönliche Angelegenheiten während der Arbeitszeit zu erledigen. Ein zusätzlicher Schwerpunkt sollte dabei auf den sogenannten "Blue-Collar"-Kollegen, also den Mitarbeitenden im Produktions- und Service-Bereich, für die es wenig Möglichkeiten gibt, im Homeoffice zu arbeiten. Es ist wichtig, Lösungen zu entwickeln, um auch in diesem Bereich Flexibilität zu schaffen.
Ein weiteres wichtiges Thema im Workforce Management ist die Kompetenzorientierung im Bereich der Bedarfsplanung. In den kommenden Jahren wird es wichtig sein, die Fähigkeiten und Kompetenzen innerhalb der Unternehmen stärker in den Fokus zu rücken. Dabei gibt es bereits positive Beispiele in großen Unternehmen, wie zum Beispiel Bosch oder Siemens, die dies professionell handhaben. Allerdings gibt es auch in mittelständischen und kleineren Unternehmen noch viel Verbesserungspotential. Eine Übersicht über die Fähigkeiten und Kompetenzen innerhalb eines Unternehmens ermöglicht es, fehlende Kompetenzen in der Organisation früh zu erkennen und hierauf gezielt mit Maßnahmen der Talent Akquisition oder Talent-Entwicklung zu antworten.
Dementsprechend sich auch die Talent-Entwicklung und das Learning für Peter Wald wichtige Themen bei der Personalarbeit in den Unternehmen in 2023. Es geht darum, Lernmöglichkeiten in den Arbeitsalltag zu integrieren, anstatt sie als separierten Prozess zu betrachten. Dies kann z.B. durch das 70-20-10 Prinzip von Charles Jennings erreicht werden, das besagt, dass 70% des Lernens im Arbeitsalltag stattfinden sollte. Mögliche Maßnahmen sind Micro-Learning-Angebote oder das Einsetzen von Mitarbeitern in Projekten, um ihnen fachliche wie auch soziale Kompetenzen beizubringen. Auch Auslandseinsätze und Mitarbeit in Startups können Teil der Talententwicklung sein. Es ist wichtig, nicht nur wirtschaftliche Faktoren bei der Einsatzplanung von Mitarbeitern zu berücksichtigen, sondern auch deren Lernmöglichkeiten und die Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten.
Auf eine Rückfrage eines Talk-Teilnehmenden zur Bedeutung der Lernerfolgskontrolle – z.B. mit Hilfe des "Five Moments of Learning Needs" Ansatzes von Bob Mosher – betonte Peter M. Wald, dass natürlich genau solche Ansätze die unmittelbare Wirksamkeit von Fortbildungsangeboten im Arbeitsalltag sichtbar machen und damit einmal mehr wichtig sind.
Weiter wird es in 2023 wichtig sein, das Thema Leadership und Führungskräfteentwicklung voranzubringen. Die Form der Führung ist einmal mehr bedeutsam – im Übergang zu neuen Formen der Zusammenarbeit. Das Ergebnis spiegelt sich dann in der Mitarbeiterzufriedenheit und dem Employee Engagement wider. Um dieses Zusammenspiel aber auch die weiteren Faktoren für die Mitarbeiterzufriedenheit zu entschlüsseln, ist es für Prof. Dr. Peter M. Wald unerlässlich regelmäßig Befragungen durchzuführen und Daten zu erheben, um Muster und Trends zu erkennen, wie die Arbeitsbedingungen entsprechend anzupassen sind. Es ist wichtig, dass Unternehmen sich bewusst machen, dass die Zufriedenheit und das Engagement ihrer Mitarbeiter Ursache und Hebel für die weitere Transformationsfähigkeit des Unternehmens sind.
Das Thema Diversity, Inclusion und Equity wird in den nächsten Jahren ein großes Thema sein und es wird wahrscheinlich noch mehr Druck benötigen, um es in den Unternehmen umzusetzen. Es gibt große Potenziale durch Diversität, die wir noch nicht ausreichend nutzen und wir verpassen die Chance, auf die Veränderungen, die wir in der Zukunft bewältigen müssen, vorbereitet zu sein. Es gibt keine Patentrezepte, um diese Herausforderungen zu meistern, aber das Mindset der Entscheider spielt eine wichtige Rolle. Sie müssen bereit sein, neue Perspektiven zu berücksichtigen und sich selbst zu hinterfragen, anstatt nur zu klagen und zu jammern.
Als abschließendes Thema diskutierten wir das Thema betriebliches Gesundheitswesen und mentale Gesundheit bei Mitarbeitern, die vor dem Hintergrund der Gesamtbelastung für Prof. Dr. Peter M. Wald ein bedeutsames Aktionsfeld für HR darstellen. Es sei wichtig, dass Unternehmen entsprechende Angebote bereitstellen, um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu fördern und zu unterstützen. Dazu können auch digitale Hilfsmittel beitragen. Zudem sollte es Überlegungen geben, wie man Mitarbeiter, die bis zu einem höheren Alter arbeiten möchten, unterstützen kann. Insgesamt fordert Peter Wald hier noch weitere Anstrengungen, um Maßnahmen in diesem Bereich in der Realität umzusetzen.
Fazit: Mit dem humanzentriertem Denken ins Jahr 2023
Insgesamt ist festzuhalten, dass die „Permacrisis“-Situation ein humanzentriertes Denken in den Unternehmen einfordert, was nach Peter M. Wald ein Gestaltungsauftrag für HR und Personalwesen darstellt. Die "Humanisierung der Zukunft der Arbeit", wie es auch David Green als HR Trend für 2023 proklamiert, ist auch für Professor Dr. Peter M. Wald der zentrale Trend. In der Unternehmensrealität fehlen Peter M. Wald aber oftmals noch die erforderlichen Angebote und Ansätze. Er betont die Wichtigkeit von Respekt, Glaubwürdigkeit, Wertschätzung und Augenhöhe als wichtige Faktoren für Führungskräfte und betont die Notwendigkeit, sich auf die Mitarbeiter einzulassen. Wald sieht eine erhöhte Wichtigkeit, Aufgeschlossenheit und Offenheit für Veränderungen zu fördern, um die Herausforderungen der digitalen Transformation und anderer Krisen bewältigen zu können. Er schlägt vor, dass Personalerinnen und Personaler innehalten und überlegen, wie sie diese Werte in ihrer Arbeit umsetzen können und wie sie voneinander lernen und gemeinsam in den Personalbereichen umsetzen können.
Wir danken Peter M. Wald für die Unterstützung im Jahr 2022 und freuen uns auf spannende Gespräche in 2023!