Ist die Ausrichtung am Employee Lifecycle zu kurz gedacht?

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Die Idee des "Employee Lifecycle" wird in Diskussionen zur "Employee Experience" und deren Zielen häufig aufgegriffen. Dahinter steht der Gedanke eines ganzheitlichen Interaktionsverlaufs der Mitarbeitenden mit ihren Arbeitgeberorganisationen über den gesamten Beschäftigungszeitraum hinweg. Ziel dieser Betrachtung ist es, durch eine möglichst hohe Zufriedenheit in allen Phasen des Lifecycles eine intensive Bindung der Beschäftigten und eine hohe Motivation zur Weiterempfehlung des Unternehmens zu schaffen. Denn, wie wir wissen, ist die Gewinnung wichtiger Fachkräfte auch in Krisenzeiten für viele Unternehmen eine zentrale "Überlebensfrage".

Im Zuge der Diskussionen um den "Employee Lifecycle" wird jedoch insbesondere der Weiterempfehlungsaspekt stark in den Vordergrund gerückt, was dazu führt, dass die äußeren Phasen des Lifecycles gefühlt mehr Aufmerksamkeit und Fokus erhalten als der "Mittelbau". Themen wie die "Talent Attraction Journey", das "Onboarding" oder das "Alumni-Management" werden in dieser Betrachtung immer als Erstes genannt – während die "bestmögliche Unterstützung der Mitarbeitenden in ihren alltäglichen Anliegen des Arbeitsalltags" zu einem Punkt unter vielen wird.

Mit diesem Beitrag wollen wir die Gewichtung der Themen im "Employee Lifecycle" zur Diskussion stellen und den Fokus stärker auf den "Mittelbau" lenken. Der Beitrag dient als Vorbereitung für das "Conversation Café: Optimierung der HR-Services" am 28.08.

Der Employee Lifecycle als ganzheitliche Betrachtung der Unternehmen-Mitarbeitenden-Beziehung

Um die Diskussion über den Employee Lifecycle zu vertiefen, ist es wichtig, das Modell als ganzheitliche Betrachtung der Beziehung zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden zu verstehen. Dabei wollen wir sowohl die unterschiedlichen Phasen des Modells als auch seine Potenziale und Kritikpunkte beleuchten.

Definition und Phasen des Employee Lifecycles

Das Employee Lifecycle-Modell beschreibt die Phasen, welche die Mitarbeitenden während ihrer gesamten Beschäftigungszeit in einem Unternehmen durchlaufen – vom ersten Kontakt bis zum Alumni-Treffen. Wir können im "Employee Experience"-Jargon auch von der "Reise" bzw. der "Journey" auf der obersten Ebene sprechen, in der HR-Literatur wird aber vornehmlich vom "Employee Lifecycle" gesprochen.

Es gibt unterschiedliche Varianten des Modells, die entweder sechs oder sieben Phasen umfassen. Der Unterschied liegt darin, ob das Alumni-Management als eigenständige Phase (siehe Qualtrics-Beitrag) oder als Teil des Offboarding-Prozesses betrachtet wird. Hier konzentrieren wir uns auf die sechsstufige Variante, die folgende Phasen beinhaltet:

  1. Attraction: Gewinnung potenzieller Mitarbeitender durch eine attraktive Arbeitgebermarke und gezielte Ansprache.
  2. Recruitment: Auswahl und Einstellung geeigneter Kandidat*innen.
  3. Onboarding: Integration neuer Mitarbeitender in das Unternehmen, um eine erfolgreiche Einarbeitung zu gewährleisten.
  4. Development: Kontinuierliche Weiterentwicklung und Qualifizierung der Mitarbeitenden durch individuelle Entwicklungspläne und Weiterbildungsmöglichkeiten.
  5. Retention: Maßnahmen zur langfristigen Bindung der Mitarbeitenden durch ein positives Arbeitsumfeld und Wertschätzung.
  6. Separation: Professionelle Gestaltung des Austrittsprozesses, um einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten. Alumni-Management kann hier integriert sein, um den Kontakt zu ehemaligen Mitarbeitenden zu pflegen.

Neben der Anzahl der Phasen variiert auch die Reihenfolge der Phasen im Mittelbau bei den Themen "Development" und "Retention", die in unterschiedlicher Reihenfolge angeordnet sind. (Siehe AIHR-Beitrag mit Retention vor Development)

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Ziel des Employee Lifecycles

Das Ziel des Employee Lifecycle-Modells ist es, durch gezielte Maßnahmen in jeder Phase die Zufriedenheit der Mitarbeitenden zu maximieren. Ein hoher Grad an Zufriedenheit trägt nicht nur zur langfristigen Bindung der Beschäftigten bei, sondern fördert auch die Bereitschaft zur Weiterempfehlung des Unternehmens. Dies ist besonders in Zeiten eines angespannten Arbeitsmarktes von zentraler Bedeutung, da die Gewinnung und Bindung von Fachkräften eine der größten Herausforderungen für Unternehmen darstellt.

Potenziale und Kritikpunkte des Modells

Während das Employee Lifecycle-Modell einen strukturierten Ansatz bietet, um die verschiedenen Phasen der Mitarbeitendenreise zu gestalten, bringt es sowohl Potenziale als auch Kritikpunkte mit sich. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Phasen Development und Retention, die entscheidend für die langfristige Mitarbeiterbindung und das tägliche Arbeitsklima sind.

Potenziale des Modells:

  • Ganzheitlicher Ansatz: Das Modell ermöglicht eine systematische Betrachtung der gesamten Mitarbeitendenreise, von der Anziehung potenzieller Talente bis zum Austritt und darüber hinaus. Dadurch können Unternehmen gezielte Maßnahmen in jeder Phase ergreifen, um die Zufriedenheit und Bindung der Mitarbeitenden zu erhöhen.
  • Strukturierte Prozesse: Durch die klare Definition der Phasen können Unternehmen ihre HR-Prozesse standardisieren und so eine konsistente Mitarbeitendenbetreuung sicherstellen.
  • Fokus auf Zufriedenheit und Weiterempfehlung: Das Modell betont die Bedeutung der Mitarbeitendenzufriedenheit als Schlüsselfaktor für eine starke Arbeitgebermarke und eine hohe Weiterempfehlungsrate.

Kritikpunkte:

  • Ungleichgewicht und Vernachlässigung wichtiger Phasen: In der Praxis zeigt sich häufig, dass der Fokus stark auf den äußeren Phasen des Employee Lifecycle liegt – insbesondere auf Attraction, Onboarding und dem Alumni-Management. Diese Phasen erhalten oft die meiste Aufmerksamkeit und Ressourcen, während die zentralen Phasen Development und Retention, die für die tägliche Unterstützung und langfristige Bindung der Mitarbeitenden entscheidend sind, oft vernachlässigt werden. Dies kann dazu führen, dass Mitarbeitende im Laufe ihrer Beschäftigung unzureichend betreut werden, was sich negativ auf ihre Zufriedenheit und ihre Bindung ans Unternehmen auswirkt.
  • Operationaler Fokus: Das Modell kann dazu führen, dass HR-Abteilungen sich zu sehr auf die operative Umsetzung der Phasen konzentrieren und dabei den individuellen Bedarf der Mitarbeitenden im Alltag übersehen - mit dem Risiko, dass die tatsächliche Mitarbeitendenzufriedenheit trotz formaler Prozesse leidet. Anstatt den Menschen im Mittelpunkt zu sehen, wird die Einhaltung standardisierter Prozesse priorisiert, was eine Entfremdung der Mitarbeitenden mit sich bringen kann.
  • Rigidität des Modells: Das Employee Lifecycle-Modell, mit seinen klar definierten Phasen, kann in der Praxis zu starr sein, um den individuellen und oft dynamischen Bedürfnissen von Mitarbeitenden gerecht zu werden. Mitarbeitende durchlaufen nicht immer in klar abgrenzbaren Schritten die Phasen des Modells; ihre Bedürfnisse können sich unvorhergesehen ändern, und das Modell bietet wenig Flexibilität, um auf solche Veränderungen zu reagieren. Ein zu starker Fokus auf die Phasenstruktur könnte dazu führen, dass wichtige, situativ erforderliche Maßnahmen übersehen werden.

Es stellt sich die Frage, ob Unternehmen, die sich stark an diesem Modell orientieren, nicht Gefahr laufen, den Fokus zu verlieren und wichtige Aspekte des Arbeitsalltags zu vernachlässigen. Ein ausgewogenes Management aller Phasen ist entscheidend, um nicht nur die Attraktion neuer Talente, sondern auch die langfristige Bindung und Zufriedenheit der Mitarbeitenden sicherzustellen. Hier liegt ein großes Potenzial, durch gezielte Maßnahmen im "Mittelbau" die Mitarbeitendenbindung zu stärken und die Gesamtwirksamkeit des Modells zu erhöhen.

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Mehr Fokus auf den Arbeitsalltag: Ein Plädoyer für einen ausgewogeneren Ansatz im Employee Lifecycle

Theoretisch bietet das Employee Lifecycle-Modell eine ganzheitliche Betrachtung der Mitarbeitendenreise. Aus unserer Sicht kommt dabei aber die Betrachtung des "Mittelbaus" oft zu kurz – sei es durch den starken Fokus auf die Mitarbeitergewinnung oder durch fehlende Ressourcen für eine ganzheitliche und nachhaltige Optimierung. Dabei zählt doch die Unterstützung und Zufriedenheit im Arbeitsalltag zu den wichtigsten Bindungsfaktoren, wie diverse Engagement-Erhebungen wie etwa der Gallup Engagement Index zeigen.

Wir sehen daher, dass hier eine andere Priorisierung notwendig ist. Eine höhere Alltagszufriedenheit führt auch zu einem stärkeren Weiterempfehlungsverhalten.

Bedeutung der besseren Unterstützung im Arbeitsalltag

Der Arbeitsalltag der Mitarbeitenden ist das Herzstück ihrer Erfahrungen mit den Unternehmen. In den Phasen Development und Retention verbringen Mitarbeitende die meiste Zeit und entwickeln ihre Bindung an das Unternehmen. "Mitarbeitende wünschen sich Flexibilität, individuell abgestimmte Weiterbildungen und sehr regelmäßiges Feedback", erklärt Christine Krieger von Axa in einem Beitrag von Anne Hünninghaus auf HumanResourcesManager.de. Die tägliche Unterstützung – sei es bei administrativen Aufgaben oder in der Zusammenarbeit im Team – spielt dabei eine zentrale Rolle für ihre Zufriedenheit und Motivation.

Diese Unterstützung ist sehr vielfältiger Natur. Im Rahmen unserer Shift/HR Learning & Talent Development Konferenz haben wir für das Thema "Development" vor allem folgende Punkte diskutiert, die optimiert werden müssen:

  • Entwicklung zukunftsrelevanter Kompetenzen: Anpassung an technologische und wirtschaftliche Veränderungen, Förderung digitaler Grundkompetenzen und Soft Skills wie Resilienz.
  • Förderung einer lernorientierten Kultur: Etablierung kontinuierlichen Lernens, Integration von Arbeit und Lernen, Schaffung einer Kultur, die Fehler als Lernchancen begreift.
  • Individuelle Förderung und Motivation: Entwicklung maßgeschneiderter Maßnahmen, Berücksichtigung von Generationenunterschieden, Anreize zur Weiterbildung.
  • Optimierung der Integration von Lernen im Arbeitsalltag: Nutzung von Online-Learning, mobilen Lernplattformen und KI, Anpassung an hybride und virtuelle Arbeitsumgebungen für ein Lernen im Arbeitsalltag

Für die administrativen Prozesse im Arbeitsalltag haben wir auch im Rahmen der Shift/HR Innovation SUMMITs schon folgende Aspekte diskutiert:

  • Effektive Kommunikation und Informationsbereitstellung: Etablierung wirksamer Kommunikationsplattformen und -formate für den Informationsaustausch zwischen den Mitarbeitenden und dem Unternehmen sowie für die interne Kommunikation.
  • Optimierung aller administrativer Prozesse: Digitalisierung, Automatisierung und Bereitstellung von Self-Services für alle administrativen Anliegen der Mitarbeitenden mit der Organisation und HR wie z.B. der Zugriff auf Gehaltsabrechnungen, Aktualisierung persönlicher Daten, Urlaubsanträge und Spesenmanagement über Self-Service-Portale.

In Bezug auf die Employee & Workplace Experience gilt es zudem wichtige Unterstützungsaspekte für die Mitarbeitendenperformance im Arbeitsalltag zu lösen:

  • Bestmögliche Arbeitsplatz-Gestaltung und -Unterstützung: Egal ob an der Werkbank, im Homeoffice bzw. Büro oder unterwegs – die Mitarbeitenden brauchen die besten Werkzeuge, Hilfsmittel und Prozesstools, um ihre Arbeit effektiv und effizient erledigen zu können.
  • Flexible Arbeitsstrukturen: Etablierung neuer Arbeitszeit- und Personaleinsatzmodelle, um die Wirksamkeit, Performance wie auch das Engagement der Mitarbeitenden maximal auszuschöpfen.
  • Teamgeist und Vernetzung: Programme zur Förderung der Zusammenarbeit und ein positives Arbeitsklima stärken die Verbundenheit und den Teamgeist.

Gefahr der Defokussierung durch die End-to-End-Betrachtung

Die umfassende Betrachtung des Employee Lifecycles von der Attraction- bis zur Separation-Phase birgt das Risiko, dass sich HR-Abteilungen "verzetteln" bzw. nicht ausreichend Ressourcen haben, um alles entsprechend voranzubringen. Zudem kann der operative Fokus auf "Prozesse" und "Journeys" dazu führen, dass standardisierte Prozesse wichtiger erscheinen als die individuellen Herausforderungen der Mitarbeitenden im Alltag.

Für das Employee Lifecycle & Journey Management gilt es daher, die Ganzheitlichkeit auch in der Umsetzung zu wahren.

  • Balance finden: Unternehmen sollten einen ausgewogenen Ansatz verfolgen und sicherstellen, dass sowohl die strategischen als auch die operativen Bedürfnisse der Mitarbeitenden berücksichtigt werden. Nur so können langfristige Bindung und Zufriedenheit erreicht werden.
  • Flexibilität im Modell: Mitarbeitende bewegen sich nicht immer linear durch die Phasen des Employee Lifecycles. Unternehmen müssen daher flexibel auf ihre individuellen Bedürfnisse eingehen können, anstatt starr dem Modell zu folgen.

Wichtige Fragestellungen für die weitere Diskussion

Die zentrale Frage, die sich Unternehmen und HR-Abteilungen stellen sollten, lautet: Wie können sie die ganzheitliche Betrachtung wahren und die Mitarbeitenden vor allem dort unterstützen und zufriedenstellen, wo es am wichtigsten ist? Hieraus lassen sich folgende Fragen für die weitere Optimierung der mitarbeiterorientierten HR-Services ableiten:

  1. Wie kann die Unterstützung der Mitarbeitenden im Alltag priorisiert werden, ohne andere Phasen des Employee Lifecycles zu vernachlässigen?
  2. Welche Strategien und Technologien können HR-Abteilungen nutzen, um den administrativen Aufwand für Mitarbeitende zu minimieren und gleichzeitig ihre Zufriedenheit zu maximieren?
  3. Wie können Unternehmen sicherstellen, dass die Förderung von Future Skills und individueller Weiterbildung effektiv in den Arbeitsalltag integriert wird?
  4. In welchem Maße sollten HR-Services flexibilisiert werden, um den unterschiedlichen Bedürfnissen der Mitarbeitenden in verschiedenen Lebens- und Karrierephasen gerecht zu werden?

Diese Fragen dienen nicht nur für das Finden eines ausgewogeneren Ansatz im Employee Lifecycle, sondern auch als Vorbereitung auf das Conversation Café zu mitarbeiterorientierten HR-Services, das am 28.08. stattfinden wird.